LiesiPaul01, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)

Liesi Paul

Sennerin auf Zeit

Für Liesi Paul ist dieser Almsommer längst zu Ende. Loslassen wird er sie dennoch nicht, bis sie im nächsten Jahr wieder mit den Tieren hinaufziehen kann. Denn nach der Alm ist immer auch ein bisschen vor der Alm. Ihr Freund Florian kommt an Wochenenden und in seinen drei Wochen Urlaub zu ihr hinauf – etwas anderes können sie sich gar nicht vorstellen und schon im Winter macht sich die Sehnsucht nach der Alm breit. Die Arbeit mit Tieren ist Liesi vertraut. Sie ist auf einem Bauernhof mit sechs jüngeren Geschwistern und 30 Milchkühen aufgewachsen. Auf der Alm zu sein ist trotzdem ganz anders. Hier ist sie zumeist ganz auf sich allein gestellt und lebt voll und ganz für die Tiere. Warum sie das glücklich macht? Da haben wir einmal genauer nachgefragt.

STECKBRIEF

Name: Elisabeth (Liesi) Paul
Geburtstag: 13.05.1983
Geburtsort: Rosenheim
Wohnort: Tuntenhausen
Worum geht’s? Kulturlandschaft Almwiesen – nachhaltige Almwirtschaft

Droben, auf der Alm, da …?

„… wohnt die Freiheit, da wohnt das Glück. Da vergisst man alle Sorgen und fragt sich: Was hat man im Tal eigentlich die ganze Zeit für Probleme, die gar keine sind? Oben geht es nur um die Tiere, die dich brauchen. Und die sind so frei, glücklich und dankbar.“

Was bedeutet die Zeit auf der Alm für dich?

Lange nachdenken braucht Liesi für diese Antwort nicht: „Es ist die schönste Zeit im Jahr“. Das ganze Jahr hindurch fiebert sie schon daraufhin und ihr Freund Florian fiebert mit. Aber was macht dieses Almgefühl eigentlich aus? „Man merkt, dass man oben fast nichts braucht zum Leben – und dass Wasser sehr wichtig ist. Und Brot.“ Klar sei da viel Arbeit, das sei anstrengend, aber zugleich sehr erfüllend. Das sechste Mal war sie bereits auf der Alm, die auf 1.320 Meter Höhe in der Kreuther Flur steht. Es ist eine Auszeit von der Welt – für den Kopf, aber keine Auszeit von der Arbeit. Eher im Gegenteil. Arbeit gibt es viel. Aber es gibt keine Termine. Auch keinen Strom, kein warmes Wasser, Handyempfang nur an Schönwettertagen und nur an manchen Stellen. „Und wenn so ein richtiges Wetter kommt“, weiß man wieder, wie klein man ist“. Eine gewisse Demut gehört dazu, Genügsamkeit und der Wille, Verantwortung zu tragen. „Man lebt nur für sich und die Tiere, sorgt dafür, dass es ihnen gut geht, ansonsten bekommt man da oben nicht viel mit von der Welt“. Ziemlich genau vier Monate dauert der Almsommer auf ihrer Alm. Liesi verbringt den Juni und Juli oben, meist hat sie noch zwei Katzen dabei und immer zwei „Schweinderl“. Fred und Wilma heißen sie in diesem Jahr und sie vertragen sich gut mit den Rindviechern.

Der frühe Vogel… oder: nichts für Spätaufsteher?

„Wenn man nicht melken muss, kann man auch ausschlafen“, lacht Liesi. Aber ihre fünf Milchkühe Theresa, Hedi, Zora, Frieda und Emmi wollen zweimal am Tag gemolken werden: „Sie stehen manchmal schon morgens um fünf auf der Matte.“ Zuvor muss sie buttern, denn später wird es zu warm und die Butter wird nicht fest. Teilweise steht sie deshalb schon gegen vier auf. Die Milchkühe kennt Liesi bereits, seit sie Kälber waren. Und nach sechs Almsommern kennt sie mittlerweile die Namen aller ihrer 37 Rindviecher. Denn längst nicht alle sind „Kühe“. Das muss sie den Wanderern manchmal erklären, die zu allem „Kuh“ sagen, was Hörner auf dem Kopf und eine Glocke um den Hals hängen hat. Zehn Kälber hat sie in ihrer Obhut und 22 „Koima“, das sind Färsen, die noch nicht gekalbt haben.

Buttern und Käsen

„Das Buttern selbst geht ziemlich schnell, etwa zehn Minuten per Hand mit dem Butterfass“, erläutert Liesi, „dann waschen und ausklopfen, damit das Wasser rausgeht, danach gehe ich erst mal in den Stall zum Melken“. Anschließend wird die Milch zentrifugiert: in Magermilch und Rahm, aus letzterem entstehen Butter und Buttermilch. Mit dem Buttern im Butterfass ist es nicht allein getan. Hinterher formt sie die Butterstücke mit dem Model und verpackt sie einzeln. Bei den fast 100 Liter Milch am Tag ist das ein aufwändiger Prozess. Jeden zweiten Tag wird gebuttert, aus zehn Litern Rahm werden 25 bis 30 Stücke. Mit der Magermilch, die beim Zentrifugieren abfällt, füttert sie die kleinen Kälbchen und die Schweindl und macht Topfen oder Stotzenkas, eine Art Graukäse mit Kümmel und Pfeffer, der allerdings aufgrund seines strengen Geruchs nicht jedermanns Sache ist. Manchmal legt Liesi Feta in Öl und Gewürzen ein. Zweimal in der Woche stellt sie Mozzarella her und setzt einen normalen Käse an. In dem feuchten Keller unter der Almhütte hat dieser die idealen Bedingungen zum Reifen. Zwischendrin wird gefrühstückt, schließlich braucht sie Kraft auf der Alm.

Die Tage sind ausgefüllt auf der Alm.

Erst wenn sie gegen Mittag mit diesen Arbeiten fertig ist, kann sie nach den anderen Tieren sehen. Sie geht regelmäßig die Zäune ab, mäht das Gras darunter mit der Sense, schaut, dass es allen Tieren gutgeht. Am Abend muss alles noch mal von Hand durchgespült werden, das Butterpapier für den nächsten Morgen gerichtet, der, Stotzenkas' umgedreht, der andere Käse geschmiert.  Dann ist sie rechtschaffen müde und geht schlafen. Oft holt sie aber auch ihre Harfe hervor und lässt die Finger über die Saiten gleiten, eine Abendmelodie, ein paar Stücke, für Tiere und Mensch gleichermaßen schön.

„Frisch und handgemacht – so gut schmeckt es nirgends, wie auf der Alm.“

Was macht die Almbutter so besonders? „Wenn die Kühe im Stall stehen und Silo zugefüttert wird, dann schmeckt die Milch leicht säuerlich“, weiß sie, auch vom elterlichen Hof. Die Almkräuter und Heublumen sind es, die den Buttergeschmack unverwechselbar machen. Rund und reif und intensiv und mild zugleich - ohne jegliche Zusatzstoffe aus völlig unbehandelter Rohmilch.

Viele haben eine romantische Vorstellung vom „Leben und Arbeiten auf der Alm“…

„Man darf nicht empfindlich sein“, lacht Liesi, „mehrmals am Tag wird man richtig schmutzig.“ Was viele unterschätzen: „Man muss bei jedem Wetter rausgehen und nach den Tieren sehen, auch wenn es mal fünf Tage am Stück wie aus Kübeln schüttet.“ Vor allem, gibt sie zu Bedenken, müsse man mit sich allein sein können, das sei auch nichts für jedermann: „Nachts gibt es immer Geräusche, draußen im Wald schreien Tiere, die Mäuse rascheln, wenn sie unter der Tür durchlaufen und ein richtig gewaltiges Gewitter im Gebirge kann schon furchteinflößend sein“. Liesi macht das alles nichts. Nur einmal war es ihr nicht einerlei – als nachts in der Nähe der Hütte zum ersten Mal ein brunftiger Hirsch röhrte: „Das hörte sich an wie ein verletzter Mann, der laut stöhnt und Hilfe braucht“, erinnert sie sich, „und dann bist du ganz allein und fragst dich, ob du helfen kannst“.

Gibt’s eigentlich auch Senner?

Lacht: „Ja, die gibt es auch, mein Nachfolger auf der Alm ist einer, in meiner Almnachbarschaft sind es oft junge Burschen, aber es sind durchaus auch ältere Männer auf der Alm.“ Früher hätten sich die jungen Mädels drum gerissen, auf die Alm zu kommen, weil da gab es immer genug zu essen. Die Männer waren eher Jager. „Und Wuiderer“, wirft zwinkernd Florian ein, "oder sie waren unten am Hof bei der schweren Arbeit oder im Krieg, deshalb haben sie die Magd oder Bauerstochter auf die Alm geschickt.“

Was sind die typischen Geräusche und Gerüche der Alm?

„Man hört immer die Kuhglocken, denn jedes Tier hat eine, und den Wind, der durch die Bäume rauscht.“ Der Geruch hingegen ist nicht einfach zu beschreiben. Florian versucht es so: „Es ist eine Mischung aus alt und Kuhstall“. Aber der Geruch bleibt schwer zu fassen, er sei irgendwie anders als unten im Tal im Stall. „In meiner Regenjacke ist er noch drin und ich tanke Kraft, wenn ich daran hin und wieder rieche“, meint Liesi. „Wenn ich im Frühjahr wieder auf die Alm komme und den Geruch wahrnehme, fühlt es sich sogleich an wie heimkommen: Es riecht einfach nach Alm.“

Worin liegt die größte Herausforderung?

„Man muss alles allein meistern, auch schwierige Situationen oder Arbeiten, die viel Kraft erfordern“, meint Liesi. Erfinderisch müsse man sein, einfache Reparaturen selbst ausführen, manchmal improvisieren. Damit tut sie sich leicht, ihr Vater ist Landmaschinentechniker und hat ihr vieles beigebracht. Auch Gefahrenquellen gibt es einige, beispielsweise mit der Sense gut umgehen können sollte man auch. Dass nicht jeder Tag gleich verläuft, ist ebenfalls eine Herausforderung: „Es passiert immer etwas Unvorhergesehenes.“

„Manchmal musst du auf der Alm auch Geburtshelfer sein.“

Ganz genau erinnern sich beide an jene Vollmondnacht – es war der seltene Blutmond – als eine der jungen Kalbinnen ganze sechs Wochen zu früh gekalbt hat. Durch die frühe Erstgeburt gab es Komplikationen, es waren Zwillinge, beide Kälbchen waren nicht lebensfähig und kamen tot zu Welt. Wenn das Kälbchen lebt, ist die Freude groß, aber auch solch einen Schicksalsschlag muss man oben auf der Alm wegstecken können. Einmal passierte auch, dass eine Kuh Liesi mit ihrem Horn im Gesicht verletzte. „Sie wollte nur die Fliegen vertreiben, es war ja keine böse Absicht“, beschwichtigt sie, aber die Verletzung war nicht ohne und es war ein Glück, dass Florian gerade da war. Zur nächsten Alm sind es immerhin zwanzig Minuten zu Fuß.

Kühe sind nicht gleich Kühe

„Es hat sich so eingebürgert, dass die meisten Menschen einfach immer „Kühe“ zu allen Rindviechern sagen“, wundert sich Liesi, „dabei stimmt das meist gar nicht“. Schließlich gäbe es auch Kälber, Ochsen und die Kalbinnen, die Färsen, die noch nicht gekalbt haben. „Kühe sind nur die, die Milch geben.“ Lustig ist, wenn manch Wanderer interessiert fragt: „Wann werden die da gemolken?“, und die Sennerin sich ein bisschen das Lachen verkneifen muss, wenn sie ihnen geduldig erklärt: „Gar nicht – es sind Ochsen!“

Wie motivierst du dich, wenn mal die Luft raus ist?

„Auf der Alm ist nie die Luft raus, immer erst danach, wenn ich wieder unten bin“. Liesi schläft im Tal auch gern mal aus – auf der Alm kommt das nicht infrage. „Selbst, wenn ich mal müde bin oder nicht so große Lust habe – spätestens, wenn in der Früh die kleinen Kälbchen fragend schauen: „na, wo bleibst du denn?“, ist die Müdigkeit vergessen: „Sie sind so lieb und so dankbar, die Tiere.“ Und alle kann sie auseinanderhalten, selbst aus der Ferne.

Wenn Du bei einer Fee einen Wunsch offen hättest…

„Ich tät mir wünschen, dass alle Tiere ein so schönes Leben haben wie die auf der Alm“, sagt Liesi ohne lange nachzudenken. „Wenn sie wirklich so sein dürfen wie sie sind, in der Freiheit, die ihnen das Leben auf der Alm bietet, erkennt man erst, was die für unterschiedliche Charaktere sie haben.“ Besonders fällt es bei den „Schweindln“ auf, die seltener noch als Rindviecher zur Sommerfrische auf die Alm dürfen. „Wenn du sie richtig freilaufen lässt, siehst du, wie unterschiedlich, neugierig und wild sie sind, was für einen Spaß am Leben sie haben und dass sie gefordert werden möchten und nicht nur fressen und schlafen.“ Fred und Wilma sind immer fröhlich. Manchmal fragen vorbeikommende Wanderer: „Was macht ihr mit den Schweinen?“ Und sind dann traurig, wenn Liesi und Florian wahrheitsgemäß antworten: „Die werden nach der Alm geschlachtet, weil dafür haben wir sie ja mitgenommen“. Klar sind sie selbst ein bisschen traurig, aber: „Die Schweindl haben das schönste Leben, die dürfen ganz freilaufen, wo sie hinwollen.“

Das schönste Fest im Almjahr?

"… ist der Almabtrieb." Die Vorfreude beginnt schon früher. Ab Maria Himmelfahrt, dem 15. August, darf der schöne Schmuck für die Tiere gebunden werden, allerdings nur, wenn auf der Alm nichts passiert ist. „Wenn ein Tier oder ein Mensch aus der Familie stirbt, wird nicht geschmückt“, so verlange es die Tradition, meint Liesi. „Das Schmuckbinden ist sehr zeitaufwändig, aber die Milch wird über den Sommer weniger, dann ist etwas Zeit auf der Alm, die prächtigen Papierblumen, Fotzenkränze und Figuren mit Almrausch, Moos, Latschen, Hagebutten, Vogelbeeren und sonstigen Naturmaterialien zu binden.“

Dein Lieblingsort am Tegernsee ist …? 

„... die Alm! Und ansonsten alle Berge, alle Gipfel rund um den Tegernsee, vor allem, wenn man einen schönen Blick hat, wie beispielsweise vom Hirschberg.“

Was ist für dich typisch Tegernsee? 

„Der See, die Berge, viele Touristen und daher auch oft Stau – deshalb ist es oben auf der Alm so schön.“

Geht’s nächstes Jahr wieder auf die Alm?

„Eingeschlagen wird an Maria Lichtmess.“ Das ist das zweitwichtigste Kalenderdatum für die Almzeit – auch für Liesi. Dann vereinbaren Bauer und Sennerin den neuen Vertrag, wie es der jahrhundertealte Brauch verlangt, per Handschlag. Oder heute auch am Telefon. Aber niemals an einem anderen Tag.

Dein Lebensmotto! 

„Ned aufgeben! Das ist mein Motto, weil ich geb' nie auf. Man darf nicht aufgeben. Besonders, wenn man Verantwortung für die Tiere hat, darf man nicht aufgeben.“

Impressionen

LiesiPaul02, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)
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© Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)

LiesiPaul03, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)
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© Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)

LiesiPaul07, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)
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© Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)

LiesiPaul05, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)
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© Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)

LiesiPaul06, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)
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© Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)

LiesiPaul04, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)
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© Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)