Martin Calsow, © Der Tegernsee (Sabine Ziegler-Musiol)

Martin Calsow

Krimischriftsteller und Journalist

Mittlerweile sieben Bände umfasst Martin Calsows Krimireihe um den querulanten Max Quercher, der im Tegernseer Tal und den umliegenden Bergen ermittelt. Als Journalist bei der „Tegernseer Stimme“ stehen die Menschen und Geschehnisse im Tegernseer Tal in Martin Calsows Fokus. Er kennt die Einheimischen wie die Zugezogenen, die einfachen Leute und die Superreichen, die Touristen und Tagesgäste aus der nahegelegenen Metropole, die Unternehmer und auch die Lokalpolitik. Mit journalistischer Neugier und ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn, mal fies und hämisch, dann wieder mit zärtlichem Blick auf das Tal stochert er gern in Wespennestern herum, um seine spannenden Krimis zu entwickeln. Wir haben einmal nachgefragt, wie es mit seinem Quercher weitergeht.

Steckbrief:

Name: Martin Calsow
Geburtstag: 08.08.1970
Geburtsort: Münnerstadt/Rhön
Wohnort: Bad Wiessee
Worum geht’s? Tegernsee Krimis

Martin, wie definierst du das Böse?

Das Böse ist, um mit Hannah Arendt zu sprechen, banal. Es hat keinen Pferdefuß und auch keine Hörner. Es besteht aus Gier, aus Zurücksetzung, Verwahrlosung. Das Böse ist nichts Mystisches, sondern eine ganz kleine, rattige Form menschlichen Daseins.

Du bist an den idyllischen Tegernsee gezogen – um Krimis zu schreiben. Passt das zusammen?

Das Banale, Gierige, Gehässige oder Hinterfotzige, wie man hier auch gern sagt, macht keinen Halt vor der Idylle. Ganz im Gegenteil. Da wo es idyllisch ist, will jeder hin. Da wird es eng. Und Enge wiederum erzeugt Neid. Und Neid erzeugt Wut und Wut erzeugt unter Umständen böse Handlungen. Genau das ist die Grundlage für jeden guten Krimi.

Das heißt, was Du erlebst, setzt du um?

Genau. Vieles, was ich schreibe, ist nicht zwingend literarisch, sondern sogar eher reportageartig. Ich muss aufpassen, dass es fiktional bleibt, dass es im Krimi literarisch wird. Das ist die größte Herausforderung, zumal die Realität mich manchmal sogar überholt.

Das Tal bietet dir also Stoff für deine Krimis. Überspitzt du auch?

Ich berichte. Und nutze die Überspitzung als Stilmittel, um zu unterhalten. Natürlich soll ein Krimi nicht nur eins zu eins die Realität abbilden. Sonst ist das Böse tatsächlich oft zu banal. Meist ist es die offensichtliche Dummheit der Menschen, der Neid oder die Gier, die mich triggern. Das Ganze noch ein bisschen perfider zu gestalten, macht einen guten Krimi aus. Daher darf ein Krimi überspitzt sein, sonst will ihn keiner lesen.

Manche Tal-Mitbürger erkennen sich in deinen Krimis wieder – wie nehmen sie das auf?

Da gibt es welche, die sich gebauchpinselt fühlen, wenn sie in Büchern auftauchen oder drauf angesprochen werden: Das bist doch du? Andere haben damit ein Problem. Weil plötzlich etwas geschrieben steht, was sonst nur gesprochen wird, quasi manifestiert. Ein Buch hat noch einmal einen anderen Stellenwert als eine Zeitung. In Zeitung wickelt man am nächsten Tag den Fisch ein. In ein Buch eher selten.

Du hast Drohanrufe bekommen: „Sie sind ja der Antichrist!“ Ist dir das egal?

Ja. Das Tal ist ein abgeschlossener Raum, es fängt an der Kreuzstraße an und hört am Achenpass auf. Wenn ich diesen Raum begrenzt betrachte, begreife ich, dass hier seit 2.000 Jahren Veränderung passiert. Was wir erleben, ist ein Wimpernschlag. Wir sind nur sehr kurz hier und vergehen wieder. Das Tal aber wird immer bleiben. See, Berge. Der Gedanke entspannt mich, das ist wie „die Hunde bellen und die Karawane zieht weiter“. Bei sachlicher Kritik bin ich bereit, Fehler einzugestehen. Aber in der Beschreibung von Personen und Sachverhalten für meine Romane hör ich auf meinen Bauch und dann macht das Spaß und ich stehe dazu. 

Wie lange schreibst du an einem Quercher-Band?

Wenn ich weiß, wo ich hinwill, das Gerüst habe und die Charaktere, dann schreibe ich ein halbes Jahr. Das ist eine Disziplinfrage und durchaus eine Parallele zum Journalismus. Es gibt für mich keine Ausrede wie „ich habe eine Blockade“ – im Journalismus die Ausrede gibt’s ja auch nicht.

Wieviel Martin Calsow steckt in Max Quercher?

Nichts, gar nichts. Ich wäre ein schlechter Polizist. Ich bin kein Menschenfreund, das habe ich mit Quercher gemein. Andererseits bin ich auch kein Menschenhasser, aber ich bin distanziert. Das Motto meines Vaters, übrigens ein Polizist, war: „Alle Menschen sind verdächtig“. Damit bin ich groß geworden, das steckt noch in mir.


Im letzten Quercher geht der Held zurück in die Höhle, um sich seinen Erinnerungen zu stellen…

Ich fand die Idee mit der Höhle spannend, weil sie ein klassisches Bild für die Rückführung eines Menschen ist. Der Zyklus sollte da beschrieben werden: von der Geburt in der Gebärmutter zurück in die Höhle. Auch weil es in diesem Quercher um Wasser ging. Wasser ist für mich ein starkes Element. Und die ersten Geschichten von Menschen wurden in Höhlen erzählt. Die Menschen haben sich mit Zeichnungen dort verewigt, unsterblich gemacht.

Offen bleibt, ob Quercher lebend wieder rauskommt. Hast du schon über sein Schicksal entschieden?

Ja. Es geht weiter. Ich arbeite jetzt an Quercher Nummer acht. Da geht es um Unternehmer, Macher, Mover, Shaker. Es geht um Immobilien – derzeit naheliegend. Auch um Partykönige und Menschen, die das Tal als Gestaltungsraum verstehen. Die grundsätzliche Frage ist: Was ist uns eigentlich lieber, wenn wir vom „Gestalten“ reden? Gestalten die Einheimischen oder kommen Menschen von außen – leichter als jemals zuvor in der globalisierten Welt. Letztendlich ist Geld immer der Treiber. Wir glauben, dass wir das Tal mit unserer jetzigen Gesetzgebung und Moral davor schützen können, aber ich wage das zu bezweifeln.

Die Quercher-Titel tragen das Grauen im Namen. Nach Volkszorn, Blutfall, Totenwald und Totengraben – was kommt als Nächstes?

Der Titel kommt erst zum Schluss, aber es gibt bereits einen Arbeitstitel: Quercher und die Blutschuld. In diesem Roman geht es um die Frage von Schuld, ausschließlich. Schuld ist im privaten wie strafrechtlichen Sinne ungeheuer interessant. Schuld setzt ein moralisches Konzept voraus und die wenigsten Menschen, die ich kenne, verstehen unter welchem Korsett sie eigentlich stecken, wenn es um Schuld geht.

Deine Handlungen sind komplex, dein „Personal“ umfangreich, wie entwickelst du das?

Ich erlebe Menschen und Szenen, die sind völlig absurd oder skurril. Dann bin ich verführt, sie als „Personal“ aufzunehmen. Aber der Leser, die Leserin würde sich vielleicht fragen: Was machen die da? Deshalb muss ich vorsichtig sein. Trotzdem, Nebenfiguren sind das Salz in der Suppe. Es braucht eine ordentliche Prise, um einen Spiegel der Gesamtgesellschaft zu zeigen. Aber „zu viel“ ist schnell „zu salzig“, und dann kommen die Leser durcheinander.

Zwei sehr unterschiedliche Frauen begleiten Quercher durch die Bände, Regina und Arzu…

Früher waren Frauen in der Literatur oft Hausfrauen, Dummchen, Geliebte, nur Beiwerk. Ich zeichne Frauen bewusst sehr selbständig und autonom, mit Kanten und auch mit Abgründen. Heut sind Frauen oft die besseren Menschen. Ich habe es immer interessant gefunden, Frauen selbstzuermächtigen. Natürlich gibt es auch Frauen, die Opfer sind, aber ich will sie empowern und stark darstellen, manchmal auch böse sein lassen. Böse zu sein bedarf ja auch einer gewissen Stärke.
 

Du lebst am Tegernsee und auf Long Island – wo ist es schöner?

Die Berge sind majestätisch, aber das Meer ist größer, mächtiger, ist archetypisch für mich. Wir kommen aus dem Wasser. Das Tal ist mein Arbeitsfeld und Long Island ist mein Freizeitfeld, ist Meer. Und ich bin eher ein Meermensch. Nur, ich könnte keinen Krimi am Meer schreiben. 

Im Quercher spielt der See weniger eine Rolle als die Berge?

Querchers Vater ist im See ertrunken – und ja, ihn zieht es mehr in die Berge. Da bin ich anders als der Quercher. Für mich ist der See das Zentrale. Ich schwimme von April, Mai bis Oktober im See. Das sind meine schönsten Momente im Tegernseer Tal.

Dein Lieblingsplatz am Tegernsee?

Auf dem Rücken in der Mitte des Sees. Ein Sonntagabend im Sommer, wenn halb München wieder weg ist, den See durchschwimmen. In der Mitte zu sein, auf dem Rücken liegend zu wissen, dass kein Schiff mehr unterwegs ist und keine Segler, weil der Wind sich gelegt hat. Dann atmet dich der See ein und wieder aus, du spürst das. Die unfassbaren Schattierungen des Grüns. Die Wellen, auch wenn es still ist, das leichte Wogen. Das ist wunderschön.

Deine Fans möchten auf Querchers Spuren durch das Tal pilgern – wohin schickst du sie?

Der Quercher hat magische Orte am See, beispielsweise unterhalb Kaltenbrunns, wobei er am liebsten an der Bayersäg schwimmen geht. Unbedingt in die Wolfsschlucht – am besten außerhalb der Saison. Der Söllbach war lange Zeit Querchers Lieblingsort. Und es gibt einen Fleck oberhalb Bad Wiessees, in der Nähe der Sonnbichlalm, besonders am Abend – aber der wird natürlich nicht verraten.

Dein Lebensmotto:

Einatmen. Ausatmen.

Neben der Quercher-Reihe entstanden aus der Feder Martin Calsows noch der München-Krimi „Kill Katzelmacher“, jeweils zwei Bände „Lilith“ und Krimis mit dem LKA-Beamten Andreas Atlas, der im Teutoburger Wald ermittelt.

Weitere Infos auf der Seite von Martin Calsow.

Impressionen

Martin Calsow 02, © Der Tegernsee (Sabine Ziegler-Musiol)
Martin Calsow 02

© Der Tegernsee (Sabine Ziegler-Musiol)

Martin Calsow 03, © Der Tegernsee (Sabine Ziegler-Musiol)
Martin Calsow 03

© Der Tegernsee (Sabine Ziegler-Musiol)