Nicole Mahler 01, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)

Nicole Mahler

Dirndlschneiderin

„Jede Frau sieht im Dirndl gut aus“, sagt Nicole Mahler. Ob klassisch, verspielt oder rustikal – Tracht ist der Ausdruck eines urbayerischen Lebensgefühls, das von Traditionsbewusstsein und Heimatliebe erzählt. Wir sprechen mit der Dirndlschneiderin über das Tegernseer Dirndl und das Festgewand der Frauen, den Schalk. Über ihre Liebe zu Stoffen und die Brauchtumsfeste der Trachtenvereine. Wer im Sommer am Tegernsee eines der berühmten Waldfeste besucht, ist in Dirndl und Lederhosen immer richtig angezogen. Oder doch nicht? Von den Tücken der „do’s“ und „don’ts“ weiß Nicole Mahler auch zu berichten…

Steckbrief:
Name: Nicole Mahler
Jahrgang: 1980
Geburtsort: Tegernsee
Wohnort: Gmund a. Tegernsee
Worum geht’s? Dirndlschneiderin und Mitglied im Trachtenverein d'Neureuther

Was bedeutet für dich „Heimat“? Und was bedeutet für dich die Tracht?

Heimat siehst du, wenn wir hier aus dem Fenster schauen: die Berge und der See! Und mit der Tracht bin ich groß geworden. Als Kind habe ich natürlich schon Dirndl getragen und später bin ich Mitglied im Trachtenverein geworden. Etwas anderes wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen.

Du bist beim Trachtenverein d`Neureuther. Welche Rolle spielt dabei die Tracht?

D`Neureuther in Gmund gehören natürlich auch zur Heimat. Es war schon immer mein Wunsch, einen Schalk zu tragen – das hat sich mit dem Verein erfüllt. Ich habe einen gebrauchten Schalk übernommen, weil ich es schön finde, etwas von einer anderen Frau, die mit unserer Heimat verwurzelt ist, weiter zu tragen. Seitdem trage ich ihn zu allen wichtigen Festen in der Region. Das gehört bei uns dazu und es ist wichtig, dass dieses Erbe weitergetragen wird und nicht verloren geht.

Können wir noch einmal definieren: Was ist Tracht?

Tracht ist der Überbegriff der traditionellen Bekleidung. Das Dirndl ist wohl das bekannteste Stück über den Alpenraum hinaus (neben der Lederhose) – aber nicht das Wichtigste! Sprechen wir zunächst einmal über die Festtagstracht, wie sie in den Trachtenvereinen getragen wird. Für die verheiratete Frau ist das kostbarste Festtagsgewand der Schalk. Die jungen Mädchen ab 16 Jahren tragen ein sogenanntes Seidenmieder, die jüngeren Mädchen einen Boinkittl mit Spenzer. Diese weiten, gestreiften Röcke sieht man bei den Trachtentänzen kreiseln. Die Männer tragen einen Trachtenanzug oder Lederhose mit Joppe, Hemd, Gilet und Hut mit Gamsbart. Die Farben der Joppen variieren von Trachtenverein zu Trachtenverein.

Der Schalk gilt als „Königin der Tracht“. Was macht dieses Gewand so besonders?

Erstens ist es bodenlang, das macht schon mal ein besonderes Bild. Wenn man den Schalk trägt, steht man da wie eine Königin. Die Haare sind festlich frisiert und mit Silbernadeln hochgesteckt, auf dem Kopf der Hut mit der Goldschnur, man trägt kostbaren Schmuck. Das Gewand ist aus Seide oder Halbseide, es glänzt im Sonnenschein. Und dann ist der Schalk selbst, also die Kurzjacke, mit den rings um den Ausschnitt gelegten Rosettchen unglaublich aufwändig gearbeitet. Im Ausschnitt trägt man frische Blumen, beispielsweise Almrausch mit Nelken oder Rosen. Wenn bei einem Trachtenumzug die Schalkfrauen mitgehen, das ergibt einfach ein ganz besonderes Bild. Ein komplettes Schalkgewand mit allem Drum und Dran kann gut über 5.000 Euro kosten und wird daher meist weitervererbt.

Erzähl bitte noch etwas zur Geschichte der Tracht…

Das Leibeg’wand kommt ursprünglich aus dem Österreichischen. Die Frauen haben ein unkompliziertes Arbeitsgewand gebraucht, in dem auch der Busen g‘scheit sitzt, denn es gab noch keinen BH. Mit dem Leibeg’wand haben sie sich etwas auf den Leib geschneidert und an der Schürze konnte man sich schnell mal die Hände abwischen. Bei historischen Aufnahmen sieht man die Bauersfrauen im Dirndl bei der Arbeit. Häufig tragen sie große Muster, Karos oder Blumen, weil die Kleider oft aus Bettwäsche genäht wurden. Der Schalk und der Spenzer – die Oberteile zum Trachtenrock – wurden von den Bourbonen durch die Verwandtschaft mit den Wittelsbachern inspiriert. Seitdem trugen auch der Adel und die feine Münchner Gesellschaft Tracht.

Was ist der Unterschied zwischen der „Tracht“ und dem „Tegernseer Dirndl“?

Die Tracht wird heute ausschließlich zu großen Brauchtumsfesten getragen: zum Jahrtag der Vereine, zum Gaufest, zur Leonhardi, zur Fronleichnamsprozession und hier in Gmund zum Skapulierfest. Außerdem zu den traditionellen Bauernhochzeiten und kirchlichen Anlässen. Die komplette Ausstattung der Frauen besteht aus drei bis vier unterschiedlichen Kleidern. Alle sind aufwendig gearbeitet, dazu der kostbare Schmuck und jeweils andere Hüte. Das sind richtige Werte und vieles davon wird vererbt. Diese traditionelle Tracht wird ausschließlich von den Trachtenvereinen getragen.

Und das Dirndl?

Ein Dirndl können alle Frauen tragen – an schönen Sommertagen im Biergarten ebenso wie auf den Wald- und Seefesten. Das Besondere am sogenannten Tegernseer Dirndl ist der Spenzer mit dem Schößchen. Er hat sich über zweihundert Jahre mit dem liegenden und dem stehenden Schößchen entwickelt. Das Schößchen ist in einer Welle gelegt und steht dann hinten schön über dem Rock, versteift durch eine Einlage aus Rosshaar.

Was ziehst du auf die Waldfeste an?

Ein normales Dirndl. Entweder ein Leibeg’wand, so sagt man zu einem zusammengenähten Dirndl mit einem angeschneiderten Arm und Schürze, oder auch mit einer Bluse. Oder ich ziehe einen Zweiteiler an – einen Spenzer mit Rock, darauf die Schürze. Und dazu ein paar robuste Absatzschuhe.

Ein Dirndl steht jeder Frau, warum?

Ein Dirndl, das richtig sitzt und passt, macht aus jeder Frau etwas Besonderes – weil es körpernah geschnitten ist und sie sich damit in Szene setzen kann. Wenn man irgendwo ist, in einer Wirtschaft beispielsweise, und es kommt eine Frau im Dirndl herein… das ist ein Hingucker!

Was kann man bei dir als Dirndlschneiderin in Auftrag geben?

Hauptsächlich das Tegernseer Dirndl mit Spenzer, Rock und Schürze. Es ist schlicht geschnitten, bekommt einen kurzen Arm, vorn zwei Abnäher und am Rücken die Wiener Naht und meist wird der stehende Schoß gewünscht. Der Rock ist in Falten gelegt und geht übers Knie oder ist knöchellang je nachdem wie die Auftraggeberin das möchte. Darüber kommt eine Schürze. Ich sage meinen Kundinnen, was sie in welchen Mengen brauchen, und sie suchen sich die Stoffe im Stoffladen aus. Gelegentlich nähe ich auch für die Tracht die Weißwäsche, sprich Schmießl, Tuch und Schürze.

Wie lange dauert ein Tegernseer Dirndl etwa von der Bestellung bis zur Fertigstellung?

Mit Besprechung und zwei Anproben sind es knapp 20 Stunden. Wichtig ist: Ich brauche zeitlich einen gewissen Vorlauf. Je eher ich Bescheid weiß, dass ein Dirndl für einen bestimmten Anlass gebraucht wird, umso besser. Im Frühjahr beispielsweise zur Kommunionszeit, wenn alle ein Dirndl brauchen, kann ich nicht alles auf einmal schaffen.

Was ist momentan der Trend in Sachen Farben und Mustern?

Gerade sind vermehrt Ornamente gefragt, Paisleys etwa. Auch das Fischgratmuster kommt wieder. Momentan ist es auch der Trend, dass Oberteil und Rock das gleiche Muster haben. Vor ein paar Jahren waren Rock, Oberteil und Schürze unterschiedlich. Jetzt ist alles wieder schlichter, auch die Farben sind eher pastellig, mit einem farbig abgesetzten Paspelband.

Was ist „die richtige Länge“ für ein Dirndl?

Da gibt es keine festen Längenvorgaben. Momentan ist der Trend für die Länge des Tegernseer Dirndl: Mitte Wade.

Wie viele Dirndl hast du in deinem Schrank hängen?

Gar nicht so viele (lacht): nur ungefähr zehn. Obwohl da auch alte dabei sind. Eines beispielsweise ist von der Schwiegermutter meiner Nachbarin. Das ist etwa sechzig Jahre alt. Ich habe es mir abgeändert und trage es sehr gern. Ich mag die alten Dirndl, denn die Stoffe sind sehr schön. Solche gibt es heute oft nicht mehr und manchmal sind auch die Schnitte anders.

Was ist das A und O beim Dirndl?

Das es richtig passt, ist das Wichtigste! Ein maßgeschneidertes Kleid ist einfach ein maßgeschneidertes Kleid. Es gibt auch schöne im Laden, keine Frage, aber in den meisten Fällen muss man noch ein paar kleine Anpassungen vornehmen.

Übernimmst du auch Änderungsarbeiten?

Nur bei den Dirndlg’wändern, die ich selbst genäht habe. Da freut es mich auch, wenn ich sie wieder in die Hände bekomme, beispielsweise wenn sie an die nächste Trägerin weitergegeben werden. Darum ist auch prinzipiell eine Nahtzugabe drin, sodass man figürliche Veränderungen anpassen kann. Eine Körpergröße entspricht etwa vier Zentimetern Weite und ich versuche nach Möglichkeit immer, dass ich zwei Körpergrößen drin lasse. Dann kann das Dirndl auch mitwachsen.

Du nähst keine Männergewänder, aber kennst dich natürlich auch damit aus. Wie ist die Tegernseer Tracht der Männer?

Beim Trachtenverein d‘Neureuther hier in Gmund haben Männer eine schwarze oder braune Hirschlederhose mit grüner Stickerei an, dazu ein weißes Hemd, blaues Bindl, ein Gilet und Hut mit Gamsbart. Die Joppe ist blaugrau. Zum Trachtenjahrtag tragen sie einen Trachtenanzug mit einer Hose aus Lodenstoff, passend zur Joppe.

Und was trägt Mann zum Waldfest?

Die Einheimischen eine schwarze oder dunkelbraune Hirschlederhose, vielleicht auch eine helle, sofern es sich um ein Erbstück handelt. Auch die Lederhose hat im Laufe der Jahrzehnte modische Änderungen durchlaufen. Dazu gehören saubere Haferlschuhe aus Leder, vielleicht ein Ledergürtel mit Schnalle und den Initialen. Bei den Hemden geht die Bandbreite von weiß bis blauweiß kariert – aber eher ein dezentes Vichy-Karo, oder gestreifte Hemden, oft mit einem Riegel vorn, in dem vielleicht auch die Initialen eingestickt sind. Ich persönlich finde es immer schön, wenn zur Lederhose und dem Hemd auch ein Gilet getragen wird. Und entweder wird eine Joppe mitgenommen oder eine handgestrickte Strickjacke. Die Lederhosen fertigt der Sackler und die Joppen der Herrenschneider. Die berühmte „Tegernseer Joppe“ schneidern beispielsweise Winklers in Kreuth, schon in der dritten Generation.

Kniestrümpfe oder Loferl?

Bei uns im Trachtenverein werden ausschließlich Kniestrümpfe von den Männern getragen, aber hier in diesem Buch mit historischen Trachten ist beispielsweise ein Bild vom Trachtenverein Schaftlach- Piesenkamm: Da tragen die Männer Loferl, also kurze Trachtensocken und Wadenband. Prinzipiell ist beides möglich. Am wichtigsten ist: handgestrickt sollen sie sein. Dirndl ist nicht gleich Dirndl, so wie die hiesigen Waldfeste und die Wiesn nicht das gleiche sind …

Wo liegen die Unterschiede beim G‘wand?

Bei uns sind die Dirndl eher schlicht gehalten, während auf der Wiesn auch mal Glitzerstoffe getragen werden oder Neonfarben. Hier gibt es auch keine bunten Satinbänder, mit denen vorn Haken geschlossen werden und keine Reißverschlüsse. Zum Tegernseer Dirndl gehören Knöpfe. Unsere Dirndl heben sich auch in den Farben ab, in der guten Passform und den hochwertigen Materialien – das ist bei der Wiesn nicht so wichtig, da sieht man viel Polyester. Zum Dirndl gehört auch ein schöner Schmuck, vielleicht ein schlichter Hut und unbedingt ein passender, robuster Schuh mit kleinem Absatz. No-Go sind für mich Turnschuhe, Ballerinas gehen gerade noch so durch. Männer sollten unbedingt Haferlschuhe tragen. Und was gar nicht geht: ein Halstüchlein bei den Herren oder ein rotweiß kariertes Trachtenhemd.

Wie bist du zur Dirndlschneiderei gekommen?

Schon in meiner Kindheit habe ich mich für Stoffe interessiert, vielleicht auch durch meine beiden Omas, die immer genäht haben. Ich habe dann als Kind schon aus Stoffresten meinen Puppen Kleider genäht. 1995 habe ich meine Lehre als Damenschneiderin begonnen. In dem Ausbildungsbetrieb haben viele Trachtenschneiderinnen gearbeitet, das hat mich fasziniert und mit 16 habe ich mein erstes eigenes Dirndl genäht.

Wer sind deine Kundinnen?

Überwiegend die einheimischen Frauen. Ich habe aber auch viele Kundinnen, die hier ihren Zweitwohnsitz haben oder regelmäßig in den Urlaub kommen und auch ein traditionelles Tegernseer Dirndl tragen möchten. Oftmals kommen die Damen generationsübergreifend. Wenn die Mama schon da war, kommt dann auch die Tochter. Entweder machen wir etwas Neues, beispielsweise ein Dirndl für die Firmung, die Kommunion, fürs Waldfest oder auch für die Hochzeit. Oder wir arbeiten die Dirndl der Mama um, damit es der Tochter passt.

Verrätst du uns noch deinen Lieblingsplatz am Tegernsee?

Bei mir dahoam. (lacht) Da gibt’s nichts anderes!

Welche Freizeittipps hast du für Gäste am Tegernsee?

Wer sich für Dirndl und Tracht oder generell für Geschichte und Brauchtum interessiert, sollte das Heimatmuseum Jagerhaus in Gmund und das Museum Tegernseer Tal in Tegernsee besuchen. Dort kann man unter anderem historische Trachten und ihre Entwicklung ansehen. Und dann natürlich unbedingt ein Seefest oder Waldfest besuchen, am besten natürlich ein Trachtenwaldfest! Und eine große Rundfahrt auf dem See mit dem Schiff unternehmen, weil der See und die Berge vom Schiff aus noch mal anders wirken.

Dein Motto?

Jeden Tag so nehmen, wie er kommt, und das Beste draus machen.

 

Impressionen

Nicole Mahler 02, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)
Nicole Mahler 02

© Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)

Nicole Mahler 03, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)
Nicole Mahler 03

© Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)

Nicole Mahler 04, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)
Nicole Mahler 04

© Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)

Nicole Mahler 05, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)
Nicole Mahler 05

© Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)

Nicole Mahler 06, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)
Nicole Mahler 06

© Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)

Nicole Mahler 07, © Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)
Nicole Mahler 07

© Der Tegernsee (Thomas Plettenberg)