Christina Lerner
Die Brennerin vom Tegernsee
Die ausgebildete Destillateurin und Destillat-Sommelière Christina Lerner brennt herausragende Klassiker und raffinierte Raritäten in ihrer kleinen Brennerei in Gmund am Tegernsee.
Vom Obst aufbrechen über das Brennen bis zum Versiegeln jeder einzelnen Flasche ist alles liebevolle und absolut kompetente Handarbeit. Eben handg‘macht und hochprozentig! Wir haben ihr beim Brennen über die Schulter geschaut und über Brände und Liköre, Stein- und Beerenobst, die Heimat, guten Geschmack und die Sommerfrische gesprochen.
Steckbrief:
Name: Christina Lerner
Geburtstag: 16.05.1994
Geburtsort: Tegernsee
Wohnort: Gmund
Worum geht’s? Hochprozentiges vom Tegernsee
Superpower: brennt für Edelbrände
Kernobst oder Beeren – wofür (oder: wovon) brennst du mehr?
Ich bin mehr der Kernobstfan, eine klassische Williams-Trinkerin und ein absoluter Zwetschgenfan. Die guten Zwetschgen gibt’s nicht im Supermarkt, die stehen bei den Bauern, beispielsweise rings um unser Haus. Ich bekomme auch Zwetschgen von Freunden. Die freuen sich, wenn ich auf diese Art ihren Obstgarten haltbar mache und ich mich über die Zwetschgen in dieser Qualität. Außerdem mag ich gern die Wacholderbeere. Seit einigen Monaten habe ich einen Wacholdergeist, aus dem ich Gin mache.
Du brennst eher kleine Mengen und nicht so ganz alltägliche Brände?
Wir haben einen Renekloden-Baum, das ist eine Mirabellenart, der trägt mitunter viel und dann paar Jahre wieder gar nichts. Momentan habe ich ein Destillat von sechs Litern, daraus entsteht dann mal eine Sonderedition in kleinen Flaschen. Gelegentlich gibt es auch einen Kriecherl-Brand. Kriecherl sind kleine, rote Mirabellen, die mir eine Freundin von ihrem Baum vorbeibringt. Auf diese Weise entstehen kleine Sondereditionen.
Du bist quasi unter Obstbäumen aufgewachsen …
Dort am Hang steht mein Elternhaus. Die Destillerie befindet sich hier auf dem Hof meines Bruders und ringsum stehen viele Obstbäume. Meine Oma hatte eine Landwirtschaft mit drei Kühen, da haben wir als Kinder immer mitgeholfen, auch bei der Obsternte. Eigentlich gibt es nichts Schöneres für ein Kind, als auf dem Bauernhof aufzuwachsen. Die Obstbäume, ihre Zwetschgen, Äpfel und Birnen, sind meiner Oma heilig.
Wie bist du auf die Idee gekommen, den Beruf der Destillateurin zu ergreifen?
Ich war schon auf der Haushaltsschule angemeldet, da suchte Lantenhammer noch kurzfristig einen Azubi zum Destillateur. Und ich wollte ohnehin eine handwerkliche Ausbildung machen. Da haben sie mir angeboten, dass ich erst Destillateurin lerne und dann noch meinen Abschluss als Industriekauffrau dranhänge. So habe ich innerhalb von vier Jahren zwei Ausbildungen gemacht. Ich bin das ganz blind angegangen und es hat sich als großer Glücksfall erwiesen.
Ist das Schnapsbrennen nicht eher eine Männerdomäne?
In der Berufsschule in Dortmund waren wir insgesamt fünfzehn Auszubildende in der Klasse, nur drei davon Mädels. Übrigens ist das die einzige Schule für den deutschsprachigen Raum, da waren auch Österreicher und Schweizer. Es ist ein Handwerksberuf, der kräftemäßig auch für Frauen gut machbar ist. Frauen sind allerdings eher selten in diesem Beruf.
Weil man beim Schnapstrinken auch eher an Männer als an Frauen denkt?
Bei den Führungen bei Lantenhammer stelle ich immer wieder fest, dass die Männer oftmals lieber zu Likörchen greifen und die Frauen eher Brände und Geiste verkosten. Die Männer mögen ja auch gern mal etwas Süßes. Vielleicht lässt sich das aber auch gar nicht so festlegen. Ich mag lieber Brände und Geiste und trotzdem gern mal einen Eierlikör. Der war lange tot oder galt zumindest als „Oma-Gesöff“, ist aber jetzt wieder total in.
Braucht man als Destillateurin eine besonders gute Nase und einen feinen Geschmackssinn?
Während der Ausbildung gab es das Fach Sensorik, da haben wir viel probiert. Anfangs habe ich noch keinen Unterschied zwischen Zwetschge und Williams herausgeschmeckt, aber das lernt man. Inzwischen bin ich Destillat-Sommelière und beim internationalen Spirituosenwettbewerb in der Jury. Die Verkostung und Bewertung erfolgen blind, da wird der Geschmack extrem gut geschult.
Wie sollte man einen edlen Brand genießen, um geschmacklich voll auf die Kosten zu kommen?
Bei Zimmertemperatur zu verkosten ist von Vorteil. Dann schmeckt man alle Geschmäcker. Wer etwas zu verbergen hat, irgendeinen Fusel beispielsweise, kühlt ihn herunter. Je kühler, umso weniger schmeckt man. Nur Likör serviert man üblicherweise leicht gekühlt, sonst ist er wegen des Zuckers leicht „bappig“.
Früher hat man Schnaps oft auf ex heruntergekippt. Das würde man ja mit einem Edelbrand nicht machen?
Nein, man trinkt in mehreren, mindestens aber in zwei Schritten. Schon allein deswegen, weil der Gaumen diese hohe Prozentzahl nicht gewöhnt ist. Der erste kleine Schluck führt den Gaumen heran, er wird immer ein wenig stechend empfunden. Beim zweiten Schluck schmeckt man dann die Aromen schon viel besser. Manche Leute lassen den Brand im Mund noch ein bisschen Achterbahn fahren oder enden mit einem Schmatzer, das ist jedem selbst überlassen. Aber auf mehrere Schlucke zu trinken, lohnt sich. Auch die Form des Glases spielt eine Rolle. Es sollte nach oben immer etwas geschlossen sein, damit die Aromen nicht gleich verloren gehen.
Gibt es einen Unterschied zwischen Brennen und Destillieren?
Brennen und Destillieren ist das Gleiche: das Trennen unterschiedlicher Flüssigkeiten aufgrund verschiedener Siedepunkte.
Kannst du den Destillationsprozess kurz umreißen?
Beim Brand gewinnen wir den Alkohol durch eine Vergärung direkt aus dem Fruchtzucker. Brände macht man nur mit zuckerreichen Früchten, zum Beispiel mit Birnen. Wir maischen zuerst die Birne ein. Das heißt, wir quetschen sie in den Tank und geben eine Hefe dazu, die den Fruchtzucker in Alkohol umwandelt. Nach zwei, drei Wochen hat die Maische fünf bis sieben Prozent Alkohol, den wir durch die Destillation verstärken. Die Maische wird erhitzt, dabei verdampfen die Alkohole und daraus gewinnt man den Rohbrand. Einen Brand muss man insgesamt zweimal brennen.
Was passiert beim zweiten Teil des Brennens?
Beim Rohbrand ging es darum, alles, was an Alkohol vorhanden ist, aus der Maische herauszudestillieren. Das Ergebnis schmeckt noch nicht, weil wir die guten und die schlechten Alkohole alle zusammen in einem Topf haben. Beim zweiten Brand werden Vorlauf, Mittellauf und Nachlauf abgetrennt, das heißt, die guten und die schlechten Alkohole voneinander separiert. Der Mittellauf ist das Herzstück mit den ätherischen Ölen und Fruchtestern – die wollen wir in die Flasche bringen. Der Vorlauf enthält giftige Alkohole, beispielsweise Methanol. Im Nachlauf sind eher muffige, seifige Fuselöle – daher kommt auch das Wort „Fusel“.
Bedeutet das, minderwertiger Schnaps entsteht, wenn das Herzstück nicht gut abgetrennt wird?
Wenn man hört, dass Menschen vom Alkohol blind wurden oder sogar gestorben sind, dann war noch zu viel Vorlauf darin. Methanol führt zu Organversagen. Die Übergänge zwischen Vorlauf, Mittellauf und Nachlauf sind fließend. Die Trennung zu beherrschen, darin besteht die hohe Kunst der Destillation.
Neben den Bränden gibt es auch Geiste – wie entstehen diese?
Es gibt Früchte, die haben wenig Fruchtzucker, beispielsweise Himbeeren, Heidelbeeren oder Johannisbeeren. Da rentiert sich aufgrund der geringen Fruchtzuckermenge das Gärverfahren mit der Maische nicht. Man nutzt stattdessen 96 %en Neutralalkohol, der aus Kartoffeln oder Getreide hergestellt wird. Der wird zugekauft und mit Wasser auf 50 bis 60 Prozent heruntergesetzt. Darin legen wir die Früchte ein. Der Alkohol entzieht den Früchten die Aromen und Farbstoffe. Bei einer Himbeere haben wir nach einer Woche eine knallpinke Flüssigkeit. Das wird dann noch einmal abdestilliert, um eine klare Flüssigkeit zu erhalten.
Schnaps und Brand sind nicht das Gleiche …?
Absolut nicht! Wenn auf einer Flasche Spirituose oder Schnaps draufsteht, ist es kein Geist oder Brand. Ein Brand muss mindestens 37,5 % haben und darf nicht aromatisiert sein. Wenn der Alkoholgehalt nicht erfüllt ist, muss Spirituose draufstehen. Der Begriff ist nicht geschützt. Bei einer Spirituose kann der Hersteller quasi alles machen. In einer Himbeerspirituose ist oft keine Himbeere vorhanden, das sind nur Alkohol, Zucker, Aromen und Farbstoffe. Viele Leute mögen das, wenn es leicht ölig heruntergeht, das macht der Zucker. Nur wenige machen sich darüber Gedanken, obwohl diese Bezeichnungen ja sehr aussagekräftig sind.
Zu deinem Sortiment gehören auch Liköre, wenn wir schon bei den Begrifflichkeiten sind …
Die Definition „Likör“ ist etwas schwammig. Es muss jedoch mindestens hundert Gramm Zucker im Liter vorhanden sein. Beim Williams- und Himbeerlikör nehme ich das Destillat als Basis. Ich mache auch einen Zirbenlikör. Dazu schreddere ich die Zapfen, lege sie in Alkohol ein und gebe Zucker und Wasser dazu. Theoretisch könnte man, um die Definition Likör zu erfüllen, auch einfach künstliche Aromen benutzen, darin müsste also keine Frucht sein. Aber ich finde, das schmeckt man eben auch!
In der Traditionsdestillerie Lantenhammer hast du einen hohen Qualitätsanspruch vorgelebt bekommen …
So habe ich es gelernt: dass wir auf Qualität achten! Da hatte ich den besten Ausbildungsbetrieb in der Region. Es macht Spaß, wenn man auf Qualität achtet, deshalb arbeite ich auch weiterhin gern dort.
Du hast dich 2022 parallel zu deiner Arbeit als Destillateurin bei Lantenhammer selbstständig gemacht – wie kam's dazu?
Weil wir zu Hause Landwirtschaft mit der erforderlichen Grundfläche haben – und die vielen Obstbäume. Das ist die Voraussetzung, um die Brenngenehmigung zu bekommen. Da haben wir gesagt: Wenn ich schon Destillateurin gelernt habe, können wir auch eine Abfindungsbrennerei anmelden. Zuerst war die Idee, das hobbymäßig nebenbei zu machen. Aber je mehr ich darüber nachgedacht habe, umso mehr Lust hatte ich, es professioneller aufzuziehen. Mein Arbeitgeber war damit einverstanden – das ist nicht selbstverständlich und ich rechne es ihnen hoch an.
Wer dich hier in deiner Brennerei besucht, bekommt auch Einblicke in den Brennprozess?
Wenn Kunden Interesse haben, machen wir einen Termin, und dann können wir uns Zeit nehmen. Ich erläutere natürlich alles, was wir verkosten.
Wer keine Zeit für einen Termin hat, kann deine Produkte auch in Läden hier am Tegernsee kaufen. Wo beispielsweise?
Bei Feinkost Sollacher in Rottach-Egern und im Hofladen auf Gut Kaltenbrunn bei Käfer, die haben mein ganzes Sortiment. Außerdem habe ich auch einen Onlineshop.
Was sind deine persönlichen Favoriten?
Auf alle Fälle der Gin, der Wacholdergeist, den mag ich sehr gern. Die Klassiker: Zwetschge und Williams. Und die Schlehe.
Schlehen sind schwierig und aufwendig zu sammeln. Schlehenbrand ist darum eine Rarität?
Die Sträucher sind stachelig, das Sammeln ist keine Freude. Pur sind sie ungenießbar, die Schlehe wirkt adstringierend, da zieht es den ganzen Mund zusammen. Erst nach dem ersten Frost kann man sie ernten. Der Steinanteil ist sehr hoch, es gibt wenig Fruchtfleisch, daher dominiert der Steingeschmack und damit der leichte Bittermandelton, der in allem Steinobst steckt. Die Schlehen bekomme ich von Bekannten und der Verwandtschaft, die zu Hause Schlehensträucher haben. Sie geben sie mir gern, bevor die Vögel sie fressen. Dafür bekommen sie dann ein paar Flascherl Schnaps …
Gibt es eine Produkt, auf das du besonders stolz bist?
Auf den Wacholdergeist, weil er wirklich gut gelungen ist, mit frischen Zitrusnoten und komplexer Geschmeidigkeit. Mein Anspruch ist, dass mein Gin nicht mit zusätzlichen Kräutern oder Fruchtaromen verfeinert wird, wie es oft üblich ist. Mein CHICA Single Botanical Gin konzentriert sich mit nur einer einzigen Zutat auf das Wesentliche. Ich habe recht lange gesucht, bis ich die perfekte Wacholderbeere gefunden habe. In den meisten Gins schmeckt man die Wacholderbeere nicht mehr richtig, deshalb wollte ich wieder zurück zum Ursprung.
Der reine Wacholdergeist ist unfiltriert …
Der Gin wird leicht trüb, das ist gut und richtig so. Das Filtrieren macht man nur für die Optik. Aber da gibt es inzwischen ein Umdenken, naturtrübe Produkte werden mehr geschätzt. Denn die Stoffe, die trüben, sind reine ätherische Öle, deshalb lasse ich es unfiltriert – zugunsten des Geschmackes. Wenn man das erklärt, verstehen es die Leute und wissen es zu schätzen.
Der Sommer am Tegernsee wird fruchtig-frisch …
… mit meinem Tegernseer Aperitif „Sommerfrische“. Das ist ein Aperitif-Likör, den man prima mit Sekt oder Tonic mischen kann. Er ist mit Himbeere und Grapefruit verfeinert und nicht so bitter wie andere Aperitif-Liköre. Man sagt am Tegernsee gern zu den Münchnern: die Sommerfrischler kommen. Und wenn die Kälbchen im Sommer auf die Weide kamen, da hat meine Oma immer gesagt: Die Sommerfrischler stehen wieder draußen. Daher habe ich den Namen für den Aperitif gewählt.
Woran tüftelst du derzeit?
Mein neuestes Projekt ist ein Wermut. Das ist ein „aufgespritteter“ Wein, der mit Wermutkraut versetzt ist, den ich noch mit Wacholder verfeinere. Wermut ist ein Produkt, das fast keiner mehr herstellt, geradezu in Vergessenheit geraten. Jeder macht die klassischen Sachen, Williams, Himbeere und so weiter, und ich wollte etwas anderes machen. Ich denke, gerade für den Aperitif-Bereich passt der Wermut. Zum Beispiel auf Eis mit einer Zitronenzeste – wunderbar im Sommer. Oder auch als Wermut-Spritz mit Tonic.
Hast du einen Tipp für Leute, die sich gern selbst einmal mit Steinobst ausprobieren wollen?
Amaretto kann man leicht selbst machen, indem man Steine, die man normalerweise wegwirft, in Alkohol einlegt und zuckert. Der Alkohol zieht aus dem Stein das Bittermandelaroma. Die Kerne sollten nicht aufgebrochen sein, damit die darin enthaltene Blausäure nicht austritt. An Steinen kann man alles nehmen: Aprikose, Zwetschge, Mirabelle … das geht total einfach.
Wenn du nicht gerade brennst, was machst du sonst noch so?
Ich spiele Klarinette und Saxofon bei den Gmunder Dorfmusikanten. Außerdem bin ich beim Trachtenverein D’Neureuther.
Verrätst du deinen Lieblingsplatz im Tegernseer Tal?
Der schönste Platz am Tegernsee ist für mich bei Kaltenbrunn. Wenn ich da entlang radele, wird mir immer wieder bewusst, wie schön wir es haben. Von dort hat man die beste Aussicht über den ganzen See und auf die Berge.
Was gibt es Besonderes in Gmund, das man kennen soll?
Der Höhenweg zwischen Gmund und Tegernsee – das ist in jeder Jahreszeit ein wunderschöner Spaziergang, selbst wenn man nicht so viel Zeit hat.
Was empfiehlst du außerdem Besuchern des Tegernseer Tals?
Den Wallberg – von dort oben hat man die Aussicht über den See und das ganze Tal. Wir fahren auch gern mit dem Elektroboot auf dem See, da öffnen sich wieder andere Blickwinkel auf das ganze Panorama.
Motto:
Zufrieden sein mit dem, was man hat. Es schätzen und darauf achtgeben.
Alle Infos zur Brennerin vom Tegernsee und ihren Produkten finden Sie hier.