Der Blick über eine saftige Wiese auf den Ort Kreuth, © Julian Rohn

4. Station - Dr.-Wilhelm-May-Straße 17

Ehemalige Villa Taube

Nicht nur in Abwinkl am Ringsee, wo er sich im Sommer 1918 für zwei Monate in die Villa Defregger einquartierte und sein Prosa-Idyll „Herr und Hund“ schrieb, sondern auch im weiter südlich gelegenen Kreuther Enterfels verbrachte Thomas Mann seinen Aufenthalt am Tegernsee in einer Villa. Als Junggeselle war er im Sommer 1902 und 1903 mehrere Wochen bei seinem Freund und Schriftstellerkollegen Kurt Martens (1870-1945) untergebracht. Dieser hatte sich 1902 von einem Baron namens Adolf von Taube die Villa Taube gemietet. „Das geräumige Häuschen, das nicht nur der dreiköpfigen Familie [von Martens], sondern, dank einiger Gastzimmer, auch verschiedenen Besuchern Platz bot, ist heute verschwunden [...]. Thomas Mann kam Anfang Juli für eine Woche dorthin.“ (Heißerer, S. 21) Im Frühjahr des nächsten Jahres nahmen die Familie Martens und Thomas Mann Logis beim Fotografen Hoffmann. 


Literarisches Zeugnis: Kurt Martens (Schriftsteller und Freund von Thomas Mann)
„Seine Mentalität ist von jener Art, die man unwillkürlich akzeptiert, auf die man eingeht und die man auch bei gegensätzlicher Anlage für vollwertig nimmt. Er ist kein Eigenbrötler, wie die meisten ‚deutschen‘ Talente und Genies, sondern durch Zucht und Eigenwille ein guter ‚Europäer‘, weniger auffällig, als einen hohen — heute gewiß noch selten erreichten — geistigen Durchschnitt kennzeichnend, also Hoffnung einer gesitteten Zukunft ohne nationale oder völkische Beengtheit.“ (Eisler, S. 201) So urteilt der Arzt, Dichter, Kunst- und Literaturkritiker Michael Josef Eisler 1925 in der Zeitschrift „Imago“ über Kurt Martens im Kontext von dessen Autobiographie „Schonungslose Lebenschronik“ (1921/24). 


Der in Leipzig geborene Sohn eines Geheimen Regierungsrats, promovierte Jurist und freie Schriftsteller war einer der wichtigsten Gesprächspartner und Unterstützer des jungen Thomas Mann


1892 erschien seine erste Veröffentlichung, der Novellenband „Sinkende Schwimmer“. 1898 zog er nach München und war freundschaftlich mit Mann verbunden. Dieser lernte ihn im Zuge seiner Arbeit als Redakteur beim „Simplicissimus“ im Mai 1899 kennen. Ende 1926 übersiedelte Martens nach Dresden. Nach den Luftangriffen auf die Stadt im Februar 1945 beging er Selbstmord und wurde auf dem Loschwitzer Friedhof begraben. Einer der beiden von dem Gmunder Bildhauer Quirin Roth (1943-2020) geschaffenen Posaunenengel auf der Orgel der Dresdner Frauenkirche ist ihm gewidmet.
Mit der Ortschaft Kreuth verbinden Mann und Martens mindestens zwei literarische Werke Thomas Manns: 

  • Im Sommer 1902 besprach Mann mit seinem Gastgeber auf ausgedehnten Spaziergängen neben Rezensionen ihrer aktuellen Werke „die autobiographischen Bestandteile seines ‚Tonio Kröger‘, dessen erste Seiten er [...] mitgebracht hatte.“
  • Im Frühjahr 1903 erzählte Martens seinem Duzfreund während einer gemeinsamen Wagenfahrt zwischen Tegernsee und Valepp eine „Casino-Geschichte“, die er während seiner Militärzeit in einem Husarenregiment miterlebt hatte. Dieser notierte einige Stichworte und verwendete sie im November 1903 bei der Abfassung seiner Novelle „Ein Glück“

 „Thomas Mann, der ernsteste und bescheidenste von allen [Gästen], quartierte sich so geräuschlos ein, daß man ihn überhaupt nicht merkte. Mit ihm wanderte ich meist allein nach Bad Kreuth hinauf, wo es Anfang Juni noch ganz einsam war. Nur die kümmerliche Kurkapelle erledigte bereits zu früher Morgenstunde pflichteifrig ihr Pensum am Waldesrande. Eine kunstfremde Muse war es, und doch ging sie uns wohlig ein. ‚Ja, so ein bißchen Musik‘, bemerkte Mann, ‚selbst wenn sie manchmal daneben klingt, hebt doch sofort die Stimmung und verstärkt die Stunde.‘“
(Martens: „Schonungslose Lebenschronik“, zit. n. Heißerer, S. 21)