Ingrid Versen
Sir Edmund Hillary Stiftung
Zwischen Tegernsee und Himalaya
Manche Einheimische ist nicht so vernetzt am Tegernsee und in der Welt wie die gebürtige Westfälin Ingrid Versen. 30 Jahre Gemeinderätin in Bad Wiessee, Redakteurin diverser Medien, ehrenamtliche Richterin, Gründerin der Sir Edmund Hillary Stiftung Deutschland – deren 35-jähriges Jubiläum heuer gefeiert wurde.
Was noch? Bundesverdienstkreuz am Bande, Einladung zu den Windsors, Ehrenmitglied des Himalayan Trust. Man ahnt, das ist längst nicht alles. Wie macht sie das? Stippvisite bei einer rast- und ruhelosen Kämpfernatur.
Steckbrief:
Name: Ingrid Versen
Jahrgang: 1945
Wohnort: Bad Wiessee
Worum geht’s? Ehrenamtliches Engagement / Helden des Alltags
Frau Versen, wobei stören wir Sie gerade?
Ich schaue gerade die Bundestagsdebatte. Ich war schon immer politisch interessiert und normalerweise nehme ich in der Woche, in der der Bundestag tagt, keine Termine an. Da schaue ich den ganzen Tag zu und abends habe ich mir ein Bild gemacht. Aber für euch schalte ich jetzt aus.
Wie geht es Ihnen als Westfälin am Tegernsee?
Sehr gut, seit nunmehr 50 Jahren! Als ich mit meinem Mann hierher zog, kannte ich nur eine Handvoll Menschen, hauptsächlich die Handwerker, die unser Haus bauten. Mittlerweile bin ich sehr gut vernetzt, nicht nur wegen des Gemeinderates und meiner Arbeit als Redakteurin. Bis heute unterstütze ich 17 Vereine als Mitglied. Die Gebirgsschützen haben mich unlängst sogar für 16 Jahre Pressearbeit geehrt.
Zu Ihrem 30. Dienstjubiläum als Gemeinderatsmitglied in Bad Wiessee haben Sie die goldene Ehrenmedaille zur Urkunde dankend abgelehnt. Stattdessen baten Sie um eine Spende für die Sir Edmund Hillary Stiftung, die sich vor allem um die medizinische Versorgung der Sherpas im Everest-Gebiet kümmert.
Die Ehrung freut mich und die Ehrenurkunde habe ich dankend angenommen. Aber die Münze im Safe nützt niemandem und mit tausend Euro kann man viel Gutes tun.
Was beispielsweise?
Wir unterstützen in Nepal Krankenstationen, Schulen und Bildung für die Sherpa sowie die Wiederaufforstung im Everest-Gebiet. Seit 1990 unterhalten wir beispielsweise den Mutter-Kind-Trakt im Paphlu-Hospital auf 2.467 Meter Höhe in der Everest-Region. Die schwangeren Frauen machen sich auf einen bis zu dreitägigen Marsch, um bei uns im Krankenhaus sicher zu entbinden. Das ist für die meisten Menschen hier in unserer Komfortzone unvorstellbar.
Wie kam es, dass Nepal in den Mittelpunkt Ihres Lebens rückte?
Nach dem Schicksalsschlag durch den plötzlichen Tod meines Mannes musste ich mich als damals 38-Jährige mühsam ins Leben zurückkämpfen. Eine Amerikareise zum Familienoberhaupt der Versens hat mich aus der lethargischen Trauer gerissen. Nach meiner Rückkehr wollte ich etwas Sinnvolles tun und habe ein Schreibbüro gegründet. In den Folgejahren klopften das Gelbe Blatt, der Merkur und weitere Verlage an, der Gemeinderat und viele Vereine. Es gab so viel zu tun! Vor allem aber hatte ich in den USA einen Wegbegleiter Sir Edmund Hillarys kennengelernt….
… und folgten 1990 einer persönlichen Einladung des Mount Everest-Erstbesteigers nach Nepal.
In der Entourage des berühmtesten Bergsteigers der Welt wollte ich mich natürlich nicht blamieren. Da bin ich zum Training ein halbes Jahr lang zweimal pro Woche mit einem Zehn-Kilo-Rucksack den Wallberg rauf! Für meinen Beitrag „Mit Edmund Hillary zum höchsten Hospital der Welt“ in der Zeitschrift ‚Medizin heute‘ erhielt ich dann Zuschriften aus ganz Europa. Die Erstbesteigung des Mount Everest 1953 war auf den Tag der Krönung von Queen Elizabeth bekannt geworden – Hillary war Mitglied der britischen Expedition der Royal Geographical Society. Die Queen sagte später immer, das sei ihr schönstes Krönungsgeschenk gewesen. Sie hat Edmund Hillary in den Adelsstand erhoben und zum Ritter geschlagen.
Die Reise nach Nepal hat Ihr Leben verändert…
In Europa gab es zu dieser Zeit nur eine einzige Hillary-Stiftung – in Großbritannien. Edmund Hillary hatte mich gebeten, in Deutschland etwas für die Everest-Region zu tun und sein Hilfsprojekt bekannter zu machen. Hillary war mit Tenzing Norgay auf dem Everest-Gipfel gewesen. Lebenslang verband sie eine tiefe Freundschaft. Auf die Frage, wer von ihrer Zweierseilschaft zuerst auf dem Gipfel stand, antworteten sie immer, dass sie gemeinsam ankamen. Es gibt nur ein Foto: Hillary hat Tenzing Norgay auf dem Gipfel fotografiert. Er wurde oft gefragt, wieso der Sherpa kein Bild von ihm gemacht habe. Das war die Todeszone, hat er geantwortet, hätte er Tenzing da etwa die analoge Kamera erklären sollen? So bescheiden war Hillary. Er wollte dem Volk der Sherpa etwas zurückgeben. Deshalb hatte er 1960 den Himalaya Trust gegründet, mit dessen Hilfe Krankenhäuser und Schulen gebaut werden konnten.
Und als Sie aus Nepal zurückkamen, krempelten Sie sogleich die Ärmel hoch…
Ich war gerade frisch in den Wiesseer Gemeinderat gewählt worden. Mit der konstituierenden Sitzung hatten sie extra auf meine Rückkehr aus Nepal gewartet, so war es abgemacht. Und ich habe sie gleich mit dem Hilfsprojekt überfallen: Sieben Mitglieder des Gemeinderates unterschrieben mit mir gemeinsam die Gründungsurkunde der deutschen Hillary Stiftung und ich habe sofort damit begonnen, Geld zu sammeln.
In diesem Jahr hat die Stiftung ihr 35-jähriges Jubiläum gefeiert. Worauf haben Sie zurückgeblickt?
Allein im Jahr 2024 haben wir stolze 88.570 US-Dollar Spendengelder gesammelt. Insgesamt waren es mehr als zwei Millionen in den 35 Jahren! Als 2015 ein Erdbeben die Arbeit von 25 Jahren und das Paphlu-Krankenhaus auf 2.467 Meter Höhe zerstörte, haben wir in kürzester Zeit 150.000 Euro für den Wiederaufbau gesammelt. Die deutsche Hillary Stiftung unterstützt mit privaten und ehrenamtlichen Hilfsaktionen neben den Krankenstationen insbesondere Bildung für die Sherpas. In diesem Jahr haben wir das 24. Stipendium seit 2015 bewilligt.
Was für Stipendien sind das?
Begabte Sherpaninnen können nach Abschluss der Hillary-Schule eine Ausbildung machen oder ein Studium aufnehmen. Die jungen Lehrerinnen, Laborantinnen, Ärztinnen und IT-Technikerinnen stehen selbstbewusst und unabhängig im Leben – während ihre Eltern oftmals keine Schule besucht haben.
Beim Sammeln von Spendengeldern hatten Sie stets kreative, unkonventionelle Ideen…
Nur ein Beispiel: Als Hillarys Konterfei auf eine neuseeländische 5-Dollar-Note gedruckt wurde, habe ich 400 Scheine bei der Sparkasse gekauft. Ich habe jeden einzelnen Schein glattgebügelt und hinauf in den Himalaja getragen, um sie von ihm signieren zu lassen – und ihren Wert im Sinne der Stiftung zu vermehren.
Mit Edmund Hillary blieben Sie bis zu seinem Tod verbunden… Und trafen dann auf die Queen.
Er besuchte achtmal Bad Wiessee, ein paar Mal sogar mit seiner Ehefrau June und seinem Sohn Peter. Er hat sich von unserer Arbeit vor Ort ein Bild gemacht. Ich habe vor allem seine Warmherzigkeit und Bescheidenheit geschätzt und er meine Geradlinigkeit. Bei der Gedenkfeier zum Tod Sir Edmund Hillarys auf Schloss Windsor 2008 hat mir Königin Elizabeth für meine Verdienste mit der deutschen Hillary-Stiftung gedankt.
Das Bundesverdienstkreuz am Bande haben Sie auch erhalten…
Seit 1992 war ich Hauptschöffin am Amtsgericht Miesbach und nach acht Jahren noch weitere rund zwölf Jahre ehrenamtliche Richterin beim Verwaltungsgericht in München mit Schwerpunkt Medienrecht und Schwerbehinderten-Recht. Für all dieses Engagement wurde ich geehrt.
Und nebenher haben Sie sich für die Jugend im Bad Wiessee starkgemacht…
Ich war acht Jahre lang Jugendreferentin und zwölf Jahre Schul- und Kulturreferentin. 1994 habe ich das Wiesseer Jugendferienprogramm begründet. Das wurde ein Riesenerfolg. Während der sechs Wochen Sommerferien habe ich rund 120 Aktivitäten im Tal auf die Beine gestellt und auch persönlich betreut – von Sportveranstaltungen bis zu Wanderungen mit Hüttenübernachtungen. Die Idee war, den Wiesseer Kindern, die mit den Eltern im Sommer saisonbedingt nicht wegfahren konnten, tolle Ferien daheim zu bieten.
Als sie das Jugendferienprogramm schließlich 2002 in andere Hände gaben, haben Sie sich langgehegte persönliche Wünsche erfüllt. Was war das?
Ich bin wieder mehr gereist. Ich reise für mein Leben gern! Rund 70-mal war ich in den USA und mit dem Kanu in der Wildnis Kanadas. Zweimal Neuseeland, siebenmal Himalaja, Bergwandern in Südafrika, Grizzlybären beobachten in Alaska, mit einem umgerüsteten Eisbrecher entlang der West-Küste Grönlands, um die höchsten Eisberge der Welt zu bestaunen… Die Liste ist lang.
Das klingt, als würden Sie nur reisen. Aber das täuscht gewaltig. Sie arbeiten immer noch sieben Tage die Woche. Wie machen Sie das?
Solange ich gesund bin mache ich so weiter, weil es mir Freude macht. Mein verstorbener Mann hätte das toll gefunden. Jeden Tag beginne ich um fünf Uhr mit Musik, dann eine Tasse Tee, Zeitung lesen, eine Stunde Fitnesstraining. Rhythmus muss sein! Ich war immer eine politisch interessierte Frau, die sich nichts vorschreiben ließ. Beispielsweise im Gemeinderat Bad Wiessee mit 16 gestandenen Bayern, da gab es auch mal Fetzereien. Aber ich habe von Anfang an gesagt: Ich bin nicht die Quotenfrau, ich bringe meine eigene Meinung vor. Und so habe ich es mein ganzes Leben lang gehalten. Die Bürger wussten das zu schätzen.
Dieses Jahr werden Sie 80 Jahre alt. Steht ein großes Fest an?
Nein, auf keinen Fall! Zuletzt habe ich meinen 50. Geburtstag mit einem großen Gartenfest und 50 Gästen gefeiert. Das muss reichen! Lobhudeleien sind nicht so mein Ding. Ich schaue dankbar, demütig und zufrieden auf mein Leben zurück.
Jedes Jahr im Oktober wird Tegernsee zum Austragungsort des Bergfilm-Festivals Tegernsee. Es gibt auch immer einen Nepal-Abend. Werden Sie dort sein?
Ja natürlich – Ehrensache! Ich fühle mich schon seit Gründung des Internationalen Bergfilm-Festivals 1990 mit dem langjährigen Festivalleiter Michael Pause und dieser wunderbaren Veranstaltung sehr verbunden und bin auch Mitglied der Förderfreunde.
Verraten Sie uns Ihren Lieblingsplatz am Tegernsee?
In meinem Garten, mit Blick auf den majestätischen Kampen und den Hirschberg.
Was empfehlen Sie Gästen des Tegernseer Tals, was diese hier unbedingt unternehmen sollen?
Den Aufstieg auf die Tegernseer Hütte.
Ihr Lebensmotto:
Dankbar sein für das, was das Leben bietet.
Hier finden Sie alle Informationen zur Edmund Hillary Stiftung Deutschland.
Zum Internationalen Bergfilm-Festival geht’s hier.